Akt II - Das Zusammenkommen
Sie so
Es ging ihm nicht besonders. Soviel, was ihn beschäftigte. Vor allem seine Beziehung.
Wir waren Freunde, wir redeten viel und unternahmen viel. Eines Tages, fragte er, ob wir nicht ein Picknick machen wollen. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr genau, wie das zustande kam. Ich weiß nur noch, dass ich ihn versetzt hatte. Unabsichtlicherweise natürlich – ich hatte es einfach vergessen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits massiven Druck in der Arbeit und vergaß schonmal was. Also stand das Picknick noch aus. Meine Mam schlug dann einen Golfplatz vor. Es sollte ja ein Nacht-Picknick werden. Lustigerweise, wenn ich es so aufschreibe, denke ich mir schon selbst, wie dämlich und massiv naiv man sein kann: Picknick, Nacht, Golfplatz …!!!
Ich jedenfalls hatte mir nichts dabei gedacht. Ich wollte einem Freund helfen, sich abzulenken in einer schwierigen Zeit. Er hatte Milchschnitte, frischgeschnittenes Obst und Sekt dabei. Selbst die Gitarre lag im Auto, wurde aber nicht genutzt. Heimlich schlichen wir uns auf das Gelände. Es war ein Wahnsinnsausblick und der Mond schien. Wir hatten so viel zum quatschen, zum bereden, zum erzählen. Die Zeit verflog und mit dem ersten Morgentau strichen wir die Segel heimwärts. Es war nichts passiert. Kein Annäherungsversuch. Keine flirtenden Worte. Keine anzüglichen Blicke, soweit man diese in der Dunkelheit überhaupt gesehen hätte. Ich fühlte mich definitiv bestätigt. Dieser Typ will nichts von mir.
Am nächsten Morgen stand ich in der Küche meiner Mam (sie lebte im gleichen Haus - nur gegenüber). Und während wir uns Frühstück zubereiteten, fragte sie mich, ob in der Nacht zuvor was passiert sei. „Maaaam! Natürlich nicht!“ entgegnete ich ihr entsetzt. Meine Mam setzte ihr gewohnt verschmitztes Lächeln auf, zuckte mit der Augenbraue und meinte nur ganz ruhig: „Der will was von Dir, Mäuschen. Das sieht doch ein Blinder mit nem Krückstock!“ Ich wehrte mich rigoros gegen diese infame Unterstellung – konnte aber nicht verhindern, dass eine kleine Stimme in mir rief: „Vergiss es, es zu dementieren. In solchen Sachen hatte Deine Mutter schon Dein ganzes Leben lang recht behalten!“
Sollte sie wirklich recht haben? Nein. Ich konnte es mir nicht vorstellen.
In diesen Wochen, verbrachten wir viel Zeit miteinander. Viele Telefonate und Treffen. Mal mussten wir die Polizei rufen, weil wir am Fenster quatschend, laute Streitereien und Hilfeschreie im Nachbarshaus wahrnahmen. Manchmal gings auch gemütlicher zu und wir schauten einfach einen Film. Wie an diesem Abend - meine Lieblingsromanze (Wie ein einziger Tag). Natürlich saßen wir gemeinsam gebannt vor dem Fernseher und gerührt wie ich war, lehnte ich mich irgendwann in die Arme meines guten Freundes und dachte mir nichts weiter dabei. So sehr ich mich aber bemühte, dem Film zu folgen, so sehr kam mir Mam’s Stimme ins Gedächtnis: „Er will was von Dir!“ Sollte es doch so sein? Er atmet jedenfalls ungewöhnlich schnell, jetzt wo ich an ihm angelehnt liege – dachte ich. Irgendwie schon komisch…
Nachdem die letzte Träne vor Rührung durch den Film weggewischt war, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich wollte meiner Mam und mir beweisen, dass ich doch nicht die Naivität in Person bin und fragte ihn – frei heraus: „Sagmal, willst Du was von mir!?“ Ich war selbst erschrocken über diese Direktheit, die mir normalerweise nicht so unbedingt liegt. Aber ehrlich gesagt, war ich über die lange Pause meines Gegenübers noch viel mehr erschrocken. „Sch…, Mam hatte recht!“ dachte ich und spürte wie mein Herzklopfen lauter wurde bei dem Gedanken in einer unsäglichen Lage zu sitzen, aus der ich wohl nicht so schnell wieder herauskommen würde. Vorallen Dingen nicht so, wie man es sich wünscht, nämlich den anderen dabei nicht zu verlieren.
Zu meinem Erstaunen gab er es offen zu. Man erwartet ja eher eine Ausrede, ein sich Herauswinden. Aber nein. Er stand zu seinen Gefühlen. Das war zumindest sehr mutig, dachte ich. Obendrein wurde er auch noch richtig frech und couragiert, indem er trotz meiner Abweisung erklärte, dass es keine andere Möglichkeit für mich gäbe, so oder so, aus der Situation zu kommen ohne ihn nicht wenigstens einmal geküsst zu haben.
„Wow – watt’n Typ. Gibt nicht auf und spielt noch den Held im Untergehen.“ - dachte ich und war (obwohl ich es durchaus für völlig unangebracht hielt) beeindruckt. Kurze Zeit später ließ ich mich wirklich küssen – und der Kuss war nicht mal übel. Leider ist ein Kuss nur eine unglaublich dämliche Idee, wenn man jemanden loswerden will… wirklich dämlich.
Am nächsten Tag lag ich in meiner Hängematte im Garten. Ein unglaublich schöner Tag, warm, lichtdurchflutet, Schmetterlinge um mich herum und ich versuchte verzweifelt Worte dafür zu finden, ihm zu erklären, dass das nichts werden würde mit ihm und mir. Auf die Frage meiner Mam: „Warum eigentlich nicht?“ musste ich mir leider selbst eingestehen, kein guter und offener Mensch zu sein, wie ich selbst immer dachte. Offensichtlicherweise, obwohl ich es am grünen Tisch verteufelt hätte und anderen in ihr Gewissen geredet hätte, hatte ich nicht nur ein Problem mit dem Alter – er ist immerhin 6 Jahre jünger als ich. Es war auch eine Standesfrage. Nicht der Familie wegen, nein – von der Ausbildung und dem Beruf. Und am Ende wirklich die Frage, wie würden es die Menschen um mich herum aufnehmen. War es denn so wichtig, was andere dachten? Bis zu dem Tag, hätte ich jedem geschworen, dass es mir nicht wichtig ist. Aber es war es wohl doch. Ich schämte mich für diese Einstellung (zumal ich heute schwören würde, dass er einen höheren IQ hat als ich und dass das alles überhaupt nichts mit der Schulbildung zu tun hat!).
Mam fand mich albern (im lieben Sinne natürlich – so als Mutter). Immerhin hatten meine Eltern auch einen gewissen Altersunterschied und überhaupt, machte Benny meiner Mam den Eindruck, wohl erzogen zu sein, Grips zu haben und ehrgeizig zu sein. Eine äußerst interessante Kombination, wie sie fand.
Bis auf eine Ausnahme hatte ich mich noch nie in meinem Leben in einen Mann halsüberkopf, auf den ersten Blick verknallt. Und mit Benny war es nun definitiv nicht der Fall. Dann kamen die Bedenken dazu, das Ansehen, der Altersunterschied. Ich hatte also eine Entscheidung getroffen. Benny und ich sind wie Wasser und Öl. Sie sind sich ähnlich in Beschaffenheit und Funktion, werden sich aber niemals verbinden. Und darüber handelte dann auch das Gedicht, das ich ihm schrieb, um endlich Worte gefunden zu haben, warum ich ihn nicht wollte.
Am Nachmittag fuhr ich in seine Kirche, wo er mit seinen Kumpels noch eine Sommer-Freizeit vorbereiten musste, zu der sie am nächsten Tag aufbrechen würden. Ich sah seine Freude im Gesicht, als er mich sah. Und es tat sehr weh zu sehen, wie sein Blick sich trübte, als er verstand, dass der Brief in meiner Hand nichts Gutes verhieß. Ich hatte einen schweren Gang hinter mich gebracht.
Am Abend rief er mich an: „Wir müssen reden!“ Es war abends und ich kam gerade von einer Feier einer Freundin. Nun gut, dachte ich – fahr ich halt noch zu ihm. Unglaublich, wie lange man auf einem kühlen Balkon sitzen kann, redet und redet und am Ende feststellt, das man mindestens zum zweiten Mal äußerst dämlich gewesen war. Das war in etwa wie, wenn die Fliege freiwillig ins Netz der Spinne fliegt.
Charmant ist er, verständnisvoll, musikalisch, sensibel, einfühlsam, humorvoll… Warum wollte ich also nicht? Er versprach, mir den Himmel auf Erden zu schaffen und mir immer alle Wünsche von den Augen abzulesen. „Jaja“ würde man denken. Doch bei ihm, wusste ich, es wären keine leeren Versprechen. Die Sonne ging schon auf, als er mich zum Auto brachte. Traurig war ich, ihm wehzutun. Melancholisch machte es mich, dass das Leben mir diesen Mann vor die Nase setzte, mit dem es eh nichts würde. „Schade eigentlich“ dachte ich und küsste ihn zur inneren Abschiednahme. - Unser zweiter richtiger Kuss. -
Mein Geburtstag stand an und ich fuhr nach Berlin zu Freunden. Meine Freundin Rike und ich machten uns mit Bahn und Bus auf den Weg von Berlin Stadt ins Berliner Umland, wo ein Freund seine Geburtstagsfeier plante und mich einfach in den Anlass integrierte. Ein langer Weg, um das Thema Benny zu bequatschen. Nicht, dass wir es nicht schon vorher getan hätten, aber die Gesprächsintensität hatte sich extrem intensiviert mit dem Ergebnis, dass nicht nur meine Mutter, nein - auch meine Freundin mich für albern hielten.
Und Benny gab nicht auf. So lange er ja sichtlicherweise vor dem ComingOut schon an „uns“ gearbeitet hatte, so wollte er zumindest jetzt die aufgebaute Freundschaft retten und schrieb mir an meinem Geburtstag die wunderschönsten Zeilen, die man sich als Frau nur wünschen kann. Rike erkannte sofort an meinem Lächeln, dass „er“ geschrieben hatte und schmunzelte nur: „Du bist wirklich albern!“
Somit waren zwei Gründe, warum ich diesem wirklich humorvollen, kreativen und charmanten
Typen weiterhin eine Abfuhr erteilen sollte, schonmal dahin. Die mir bedeutsamsten Meinungen um
mich herum, waren: „Alter ist kein Thema“ und „der Typ ist dufte, probier‘s doch einfach!“
Zwischen einem kleinen, wachsenden „Ja, vielleicht“ und einem immer noch ziemlich fetten „Nein“ lag nicht mehr viel Zeit dazwischen. Ein Kellerumbau hier, ein Abendessen im Biergarten da und zum Finale ein Spaziergang im Westpark. Ich fühlte mich unwohl. Machte ich das alles nur, um meine Eitelkeit zu befriedigen? Ihn nicht wieder und wieder verletzen zu müssen? Ich fühlte mich ja schon irgendwie zu ihm hingezogen. Irgendwie hatte er mich überrascht mit seiner erfrischend anderen Art. Und trotz seines Alters, äußerlich wie innerlich nicht so jung zu erscheinen…
Ich schlief die Nacht schlecht. Dachte an unsere letzte Begegnung. Wir waren Händchen haltend durch den Park gelaufen. Ich hatte mich treiben lassen, ziehen lassen, einfangen lassen. „Mam“ – sagte ich am nächsten Morgen – „was würdest Du denken, wenn ich es doch mal probieren würde, mit Benny zusammen zu sein?“ – Nach all den vielen Gesprächen und Diskussionen mit meiner Mam, blieb ihr nur eins zu sagen: „Ruf ihn doch gleich an!“ – „Ach, und könnte er mir beim Herfahren noch ein Eis mitbringen?“ lächelte sie mit ihrem Rehblick hinterher.
Benny war recht bald da - mit Eis für Mam. Ich war aufgeregt, immerhin hatte er mir schon prophezeit, dass er es nicht weiter bei mir probieren würde. Wahrscheinlich war sogar genau das der ausschlaggebende Grund für mich. Ein Mann, der seine Würde behält, ist effektiv ein interessanter Mann. Wir standen also in meinem Wohnungseingang und ich stammelte:
„Lass es uns probieren!“